Friedrich Merz: Der Scheinriese fordert Respekt

Respektlos!!! Gewehrsalven gleich hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beim Parteitag seiner Schwesterpartei mehrfach dieses Wort in sein Mikrofon gejagt. Der Vorwurf galt dem Regierungsstil von Bundeskanzler Olaf Scholz. Dieser sei dabei, es sich aus Arroganz mit all jenen zu verscherzen, die dieses Land als Leistungsträger oder Verbündete braucht. Verhindern könne die sich deshalb anbahnende Katastrophe nur die Union.

Das Stichwort war klug gewählt. Denn Respekt war das große Versprechen im erfolgreichen Bundestags-Wahlkampf der SPD. Und wenigstens zurzeit sieht es so aus, als verhielte sich Kanzler Scholz mit seinem großen Machtwort (Atomkraftwerke) und seinem ziemlichen Machtwort (Hafen-Terminal) genau entgegengesetzt.

Bloß: Wen respektiert Friedrich Merz, neben dem Großkapital und sich selbst? Das ist schwer auszumachen. Und das Auftreten der Union ist reichlich destruktiv. Eine Opposition soll kritisieren, sie soll Mängel aufzeigen. Aber es ist ihr nicht verboten, gute und konstruktive Ideen zu äußern. Diese jedoch fehlen bei Merz wie auch bei Markus Söder.

Der CDU-Chef liegt auch schief, wenn er die Union als absolute Nummer 1 feiert. Tatsächlich bekäme sie gemäß derzeitiger Umfragen die meisten Stimmen, legt aber nicht wirklich zu. Regierungsfähig ist sie nicht. Auch Angela Merkel lag während ihrer Amtszeit in Umfragen immer wieder hinten. An Wahltagen kam es anders. Friedrich Merz ist somit, jedenfalls derzeit, ein rhetorischer Scheinriese.

Alls gut also für Olaf Scholz? Auch das nicht. Der Bundeskanzler macht Fehler, was angesichts der multiplen Krise verzeihlich ist. Was ihm fehlt, ist aber weniger die Fähigkeit zu flammenden Ansprachen. Probleme bereitet ihm eine Eigenschaft, die Insider so schildern: Er sei überzeugt, alles besser zu wissen und lasse das andere Menschen spüren.

Er sollte es gelegentlich mit Demut versuchen. Das hat noch keinem Politiker geschadet. Sondern es hilft.

Wenn Armut immer weiter wächst . . .

Volksaufstand in Deutschland? Als dieses Stichwort in die öffentliche Diskussion eingespeist wurde, schwankten die meisten Reaktionen zwischen Unverständnis über solche Panikmache und Heiterkeit über die Absurdität dieser These. Wir lebten doch in einem reichen Land mit sozialer Marktwirtschaft, weshalb der Wohlstand gerecht verteilt sei. Und es gebe ja den Bundeskanzler, der im Namen seiner Regierung versprochen habe, dass niemand allein gelassen werde. Oder in seinen Worten: „You’ll never walk alone.“

Schön klingt das. Bloß, es stimmt nicht. In Wahrheit wächst bei uns die Armut, gibt es immer mehr Menschen, denen ihr Geld – wenn überhaupt – gerade so zum Leben reicht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist fast ein Drittel der Menschen in Deutschland nicht in der Lage, eine größere Ausgabe (angenommen waren 1150 Euro) spontan oder mit Hilfe des Ersparten zu stemmen. Damit schneidet Deutschland schlechter ab als andere reichere EU-Länder wie Frankreich und erst recht die Niederlande.

Nach den statistischen Zahlen mussten 2021 rund 40 Prozent der Menschen mit einem Nettoeinkommen von weniger als 22.000 Euro auskommen. Wobei es im Osten generell deutlich schlechter aussieht. Die durchschnittlichen Einkommen liegen dort um 12,2 Prozent niedriger.

Letzteres zeigt, was herauskommt, wenn sich die angeblich sozialen Unternehmen unkontrolliert austoben können. Nach 1990 wurden im Osten reihenweise Betriebe plattgemacht, selbst sehr beachtliche persönliche Arbeits-Biographien wurden von heute auf morgen für wertlos erklärt. Kapitalismus Ost bedeutete, dass der Einzelne nichts zu fordern, sondern sich den Anforderungen der Arbeitgeber anzupassen hatte.

Noch heute genießen verhältnismäßig wenige Beschäftigte den Schutz von Tarifverträgen oder Betriebsräten. Daran sind die Menschen selbst mitschuldig, weil sie Gewerkschaften ganz überwiegend meiden. Also gilt: War man früher Spielball einer sozialistischen Diktatur, so beherrscht einen heute das Kapital.

Wenigstens im Westen sei die Welt noch in Ordnung, mag man einwenden. Doch leider ist auch das falsch. Man muss nur bedenken, wie viele Menschen vom neuen Mindestlohn profitieren, weil ihr Stundenlohn bisher unter zwölf Euro gelegen hat. Und so entwürdigend es ist, sich in die Schlangen an den Essens- oder Warenausgaben von Hilfsorganisationen zu stellen, so werden diese doch immer länger.

Das alles darf von Politik und Gesellschaft nicht übersehen werden. Geschieht das doch, so droht in Deutschland noch längst keine Revolution. Aber man sollte bedenken, wo es langfristig hinführen könnte: Dass arme Schlucker zu Herrenmenschen erklärt und auf andere Menschen gehetzt wurden – das gab es schon einmal. Das darf es nicht mehr geben.

P. S.: Der allgemeine Wohlstand bei uns sinkt nicht erst seit gestern. Dazu ein persönliches Erlebnis: Vor zehn Jahren habe ich in Alexandria in Ägypten den Souvenir-Laden in einer koptischen Kirche besucht. Die Verkäuferin fragte, wo ich herkomme und meinte dann: „Sagen Sie mir: Was ist mit den Deutschen los? Die kaufen fast nichts mehr. Können sie sich nichts mehr leisten?“

Italien hat gewählt. Bleiben wir gelassen

Italien war mal ein Verheißung. Wir waren stolz auf erfolgreiche Überquerungen von Brenner oder Großglockner-Hochalpenstraße. Wir haben den lässigen Lebensstil und die galante Gastfreundschaft der Einheimischen geliebt. Jetzt aber sind wir geschockt: Die Anführerin einer rechtsextreme Partei, die gegen alles Fremde wettert, soll dieses wunderbare Land regieren? Wie konnte das passieren?

Zunächst einmal: Restiamo calmi. Bleiben wir gelassen, denn noch hat sich nicht wahnsinnig viel verändert. Das rechte Lager, im Wesentlichen bestehend aus den Brüdern Italiens, der Lega und der Partei Forza Italia, hat keineswegs einen „Erdrutschsieg“ errungen. Im Vergleich zur Parlamentswahl im Jahr 2018 hat dieses Lager insgesamt 6,8 Prozent dazugewonnen.

Dass 43,8 Prozent zur absoluten Mehrheit in beiden Parlamentskammern reichen, liegt am Wahlrecht, welches jenem Lager zugutekommt, das einig auftritt. Was dazu führt, dass die Lega mit 8,8 Prozent fast genauso viele Sitze im Abgeordnetenhaus bekommt, wie die weiter links angesiedelte Partito Democratica mit 19 Prozent. Muss man nicht begreifen, ist aber so.

Jedoch, sind die Italiener*innen wirklich so rechtsextrem? Einerseits ja. Wer etwa Verwandte insbesondere in Norditalien hat, erlebt in politischen Diskussionen erstaunlich rassistische Beiträge. „Italien zuerst“ kommt da als Parole gut an.

Andererseits: Die zurückliegende Wahl spiegelt den Politikverdruss der italienischen Wähler*innen. Wem immer sie in den zurückliegenden Jahren ihr Vertrauen geschenkt haben: Sie wurden regelmäßig enttäuscht. So auch von der Fünf-Sterne-Bewegung, die 2018 klar gewonnen hatte. Das Volk sei einfach müde, analysieren angesehene Journalist*innen.

Ob eine Regierung Meloni viel verändern kann, ja, ob sie überhaupt zustande kommt, ist keineswegs sicher. Die Platzhirsche Matteo Salvini (Lega) und Silvio Berlusconi (Forza Italia) wurden bei der Wahl kräftig gerupft und haben zusammen über 14 Prozent verloren. Speziell der Politik-Rüpel Salvini muss fürchten, dass er abserviert wird oder dass sich seine Partei spaltet. Und ob sich zwei derartige Alpha-Männer tatsächlich von einer jüngeren Frau führen lassen, ist doch sehr ungewiss.

Wir werden es sehen. Aber schlüssig erscheint folgende Prognose: Das rechte Lager regiert sechs Monate und fällt dann auseinander. Die Wähler*innen werden wieder enttäuscht und suchen auch bei der nächsten Wahl etwas Neues.

Eigentlich gönnen wir dem Land eine solide Regierung. Aber wenn der nächste Wechsel käme, kann er nur gut sein.

Die Queen ist tot. Warum sollte ich weinen?

Es gibt so Tage, an denen du dich schlecht fühlst. Weil du dich fragst, ob du kälter und herzloser bist als all die anderen. Denn du siehst diese Schlagzeile: „Die Welt weint um die Queen.“ Und du? Weinst eben nicht.

Die britische Königin verdient den allgrößten Respekt. Elizabeth II. hat gezeigt, wie sich eine Frau ganz und gar der Aufgabe verschreiben kann, ihrem Volk eine verlässliche Identifikationsfigur zu sein. Sie hat ein Leben im Goldenen Käfig ausgehalten und bis ins hohe Alter hinein ihre Pflichten erfüllt. Aber dass ein Mensch mit 96 Jahren stirbt, ist keine Tragödie, sondern – genau genommen – erst möglich, durch das Geschenk, dass das Leben so lange gewährt hat.

Aber warum fasziniert uns die Queen so sehr? Warum interessiert sie uns derart stark? Es kann nicht bloß an ihrer Lebensleistung und dem Umstand liegen, dass es über ihre Person enorm viel Bild- und Ton-Material gibt, welches es den Medien leicht macht, umfangreich zu berichten.

Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass diese Frau trotz ihrer vielen, vielen Palast-Lakaien irgendwie eine von uns ist. Sie hat einen Sohn, der mit einer schönen, aber traurigen Prinzessin leben musste, obwohl er schon immer eine andere liebe. Sie hat eine Tochter, die sich mit dem Reitlehrer eingelassen hat. Einen anderen Sohn, der in einen Sex-Skandal verwickelt ist. Und einen Enkelsohn, der eine nicht eben wahnsinnig berühmte Schauspielerin heiratet und sich mit ihr in die USA absetzt.

Was bedeutet: Bei den Windsors geht es zu wie bei ganz normalen Leuten. Solche Familien-Dramen kennt im Grund jeder. Und wenn selbst die größte aller Königinnen damit zurechtkommen musste, tröstet das uns alle. Wir können den ganzen sonstigen Mist mal ausblenden.

Und so ist es auch mit der Trauer. Jede*r möge sie leben, wie er/sie denkt. Aber wer nicht weint, ist deswegen bestimmt kein schlechter Mensch.

Entlastung ist ein Schritt zu wenig

Das dritte Entlastungspaket der Ampelkoalition enthält Maßnahmen, die man noch vor einem Jahr für undenkbar gehalten hätte. So sollen Zufallsgewinne von Energiefirmen hergenommen werden, um eine Strompreisgrenze zu finanzieren. Aber reicht das?

Sicher, die Preise für Energie schießen wegen des Ukraine-Krieges nach oben. Aber auch, weil die Marktwirtschaft regiert. Eine unverändert hohe Nachfrage trifft auf ein verknapptes Angebot. Also steigt der Preis. Und weil er gerade nach oben schießt, sind Spekulanten zur Stelle, die bei dieser Entwicklung mitverdienen wollen.

Nun kann man so genannte Übergewinne abschöpfen oder die Preise deckeln. Richtiger wäre es , einen Schritt weiterzugehen. Die zuverlässige Versorgung mit bezahlbarer Energie ist ein Grundbedürfnis der Menschen, das erfüllt werden muss. Auch so wird der soziale Frieden gesichert. Wenn dieser Aspekt jedoch den privaten Unternehmen so egal ist, wie es zu sein scheint, funktioniert der Markt nicht mehr. Der Staat muss eingreifen. Er tut es auch.

Aber werden die Energiekonzerne heftigst gegen die Beschlüsse der Ampelkoalition protestieren? Eher nicht. Es war immer die Taktik der cleveren Mächtigen, bei Gegenwind ein Stück weit zurückzustecken, wenn sie wussten, dass ansonsten Schlimmeres droht. Was in diesem Fall bedeuten würde: Zerschlagung der Marktmacht der großen Konzerne, deren Verpflichtung auf das Gemeinwohl und das Fördern von Bürger-Genossenschaften für Erneuerbare Energien.

Letzteres liest sich radikal. Aber die Lage vieler Menschen ist radikal bedrohlich. Also warum warten? Striktes Handeln sollte angesagt sein.

Winnetou, Du bleibst mein Bruder

Ich bekenne: Er war mein Bruder, dieser Häuptling der Apachen. Zwar habe ich, anders als viele meiner Altersgenossen, nur wenige Bücher von Karl May gelesen. Aber die Winnetou-Trilogie gehörte dazu. Und für mich war dieser indigene Ureinwohner Nordamerikas (oje, hoffentlich korrekt ausgedrückt) ein durch und durch edler Mensch. Ich mochte ihn.

Insofern konnte ich zunächst nicht nachvollziehen, warum der Ravensburger Verlag seine Winnetou -Bücher nicht mehr verkaufen möchte. Das müsste eh nicht groß interessieren, weil dieser sowieso entscheiden kann, was er auf den Markt bringt und was nicht. Man nennt das unternehmerische Freiheit.

Aber die Begründung sorgt für Aufregung. Der Verlag erläutert seinen Schritt damit, dass „Der junge Häuptling Winnetou“ Gefühle anderer verletzt habe. Das mag man dumm oder absurd finden. So wie ich zunächst auch. Oder aber man betrachtet das Ganze mit dem Blick der Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner. Wie etwa von Carmen Kwasny von der Native American Association of Germany, die Winnetou-Filme im Jahr 2022 nicht mehr zeitgemäß findet. Die Kultur einer Stammesnation werde auf die gängigen stereotypen Vorstellungen reduziert, moniert sie.

Da ist natürlich etwas dran. Allerdings gibt es jede Menge Bücher, auch der anerkannten Weltliteratur, deren Inhalt aus diesem Grund irritieren könnte. Man muss eben immer sehen, in welcher Zeit der Autor oder die Autorin gelebt haben.

Womit festzustellen ist: Es ist mindestens heikel, oft aber falsch, einen modernen Aufguss einer vor 150 Jahren geschriebenen Geschichte herauszubringen, sei es als Film oder in Buchform. Erst recht, wenn man aus eine Erwachsenen-Geschichte in eine Jugend-Story umformt. So lässt sich die Aufregung verstehen.

Ich persönlich muss sagen, dass mir Winnetou weh getan hat, weil ich seinen Tod als Siebenjähriger im Kino erleben musste. Aber sonst war der Apachen-Häuptling für mich ein Guter, wenn nicht der Beste. Ich halte es da mit dem bekannten Schriftsteller Arno Schmidt: „What a man!“ ( Was für ein Mann!) lautete sein Statement. Ich sage: Mein Bruder, Du bleibst ein Held.

Auch Bürger dürfen unruhig sein

„Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.“ Dieses geflügelte Wort passt in unsere Zeit. Ausgesprochen wurde es im Jahr 1806 vom damaligen preußischen Minister Graf von der Schulenburg. Adressiert war es an die Bewohner Berlins, die angesichts der bevorstehenden Eroberung durch die Franzosen nicht in Panik verfallen sollten. Heute findet ein militärischer Überfall woanders statt. Aber dessen Folgen versetzen viele von uns in Aufruhr.

Wahrscheinlich bräuchte es vor allem einen kühlen Kopf. Wir sollten uns den kommenden Problemen stellen und möglichst klug abwägen, wie wir so damit umgehen können, dass die Folgen möglichst gering sind.

Aber jetzt kommt diese Gasumlage. Sie ist tatsächlich schwer erträglich. Zeigt sie doch, dass wir nicht nur von russischem Rohstoff, sondern auch von einer einzelnen Firma abhängig sind. In guten Zeiten, sagen wir 2020, hat der Großimporteur Uniper eine halbe Milliarde Euro an Dividende an seine Aktionäre ausgeschüttet. Jetzt wird das Unternehmen vom Steuerzahler gerettet. 15 Milliarden Euro werden dafür mindestens aufgewendet. Zugleich werden die Kunden mit einer um mehrere hundert Euro höheren Heizrechnung belastet.

Bei dieser Kombination funktioniert die „erste Bürgerpflicht“ nicht mehr so recht. Auch nicht, wenn es nun heißt, dass der Mehrwertsteuersatz für Erdgas von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden soll. Man muss sich eher fragen, warum das nicht schon längst geschehen ist. Der niedrigere Steuersatz ist für Waren des täglichen Gebrauchs vorgesehen. Und es geht nie ohne Gas, wenn Wärme und Warmwasser aus der Therme kommen.

Jedoch: Den kühlen Kopf brauchen wir doch. Nämlich dann, wenn wir überlegen, wie wir Energie sparen können. Das ist nämlich tatsächlich ein Weg, um Mehrkosten im Zaum zu halten. Aber wenn wir uns jetzt ärgern, ist es in Ordnung. Denn wir haben Grund dazu.

Ungleichheit ist ein böses Gift

Mindestens sechs Millionen arbeitende Menschen in Deutschland profitieren von der bevorstehenden Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Und eigentlich genügt diese Zahl, um zu erkennen, dass bei uns etwas faul ist. Die Ungleichheit an Einkommen und Vermögen belastet unsere Gesellschaft massiv. Die Zeichen stehen nicht auf Miteinander, sondern auf Spaltung.

Ist auch daran dieser Putin schuld? Eigentlich nicht. Die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Krise mit Inflation und steigenden Preisen für Lebensmittel und Energieträger ist nicht Ursache der ungleichen Verteilung von Armut und Reichtum. Sie arbeitet diese vor allem heraus, macht sie noch sichtbarer als zuvor.

Machen wir – apropos Krise – folgende Rechnung auf: Wenn wegen einer politischen Vorgabe 20 Prozent des Energieverbrauchs einzusparen sind, verringert ein reicher Haushalt, der üblicherweise 100.000 Kilowattstand verheizt, seinen Verbrauch um 20.000 Kilowattstunden, verbraucht aber immer noch 80.000. Der arme Haushalt, der 10.000 Kilowattstunden verbraucht, friert sich 2000 davon ab, braucht aber immer noch nur ein Zehntel des reichen Haushalts.

Aufschlussreiche statistische Zahlen zum Versagen des Kapitalismus gibt es reichlich. Die reichste Hälfte der Bevölkerung in Deutschland verfügt über 99,5 Prozent des Gesamtvermögens. Die zwei reichsten Familien des Landes, also die Aldi-Erben Beate Heister und Karl Albrecht junior sowie der Hamburger Milliardär Klaus Michael Kühne, der als HSV-Sponsor unermüdlich Geld für Zweitliga-Fußballer verschleudert, besitzen mehr als die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung. Wer Mindestlohn bekommt, verdient zirka 20.000 Euro pro Jahr, der Vorstandschef von Volkswagen knapp zehn Millionen Euro.

Das Problem der Ungleichheit geht aber noch viel tiefer. Wenn es um individuelle Lebenschancen geht, kommt es bei uns sehr darauf an, wer die Eltern sind. Nur 21 von 100 Kindern von Nicht-Akademikerinnen beginnen ein Studium, nur ein Prozent promoviert. Bei Akademiker-Kindern sind es 74 beziehungsweise 10 Prozent.

Und die in Politiker-Reden gerne gepriesene „hart arbeitende Mitte der Bevölkerung“ kann sich die Mühe zum größten Teil sparen. Wohlstand entsteht viel seltener durch ehrliche Arbeit als durch eine schöne Erbschaft. Das große Versprechen der sozialen Marktwirtschaft wird nicht mehr erfüllt.

Es ist höchste Zeit, hier etwas zu ändern. Denn Ungleichheit ist ein böses Gift. Wer erkennt, dass er keine Chancen hat, egal, wie sehr er schuftet, wird irgendwann resignieren und/oder unsere Demokratie verachten.

Und so erspart uns der höhere Mindestlohn rasche Verwerfungen. Aber auch nur bescheidenen Wohlstand schafft er sicher nicht.

Versager rufen nach der Kernkraft

Was für ein mutiger Ausflug: „Wir sind im Kern des Reaktors gewesen“, diktierte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz den versammelten Journalist*innen nach seinem Besuch im Atomkraftwerk Isar 2. Neben ihm stehend der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Nach Fukushima konnte es diesem mit dem Abschalten des Meilers bei Ohu/Landshut nicht schnell genug gehen. Jetzt sieht er in diesem Meiler eine unverzichtbare Energiequelle, die die Menschen im Freistaat vor dem Frieren im nächsten Winter bewahren soll.

Gut, in München gibt es sogar bei den Grünen diese Auffassung. Aber diese würden nie auf die Idee kommen, deshalb der Berliner Ampelkoalition Vorwürfe zu machen. Söder wiederum schafft das. In Berlin werde zu langsam gearbeitet, weshalb die Sicherheit der Energieversorgung in Bayern bedroht sei.

Selber schuld, könnte man sagen. Denn wenn es ums Versagen in der Energiepolitik geht, haben die CSU und die in dieser Hinsicht kongenialen Freien Wähler ganze Arbeit geleistet. Man hat die Windkraft ausgebremst, Pumpspeicherkraftwerke ebenso verhindert wie den Bau neuer Stromtrassen, die insbesondere Horst Seehofer im Einklang mit protestierenden Bürgern gerne als „Monster“ bezeichnet hat.

Warum arbeiten, warum etwas verändern, wenn doch das russische Gas fließt? Nach dieser Devise hat die nach eigener Einschätzung beste aller Parteien regiert. Und wenn nun die segensreiche Atomkraft beschworen wird, hat das doch drei Ziele: Man will vom eigenen Versagen ablenken, man will die angeblich bayern-feindlichen Versager in Berlin schelten und man kann in enger Kooperation mit den Energieversorgern versuchen, den AKW’s einen dauerhaften Neustart zu verschaffen.

Die Botschaft ans Volk wiederum lautet: Wählt uns. Und es kann bleiben, wie es ist. Ihren Ausflug in den Reaktorkern haben Söder und Merz ohne Nachwirkungen überstanden. Ihre energie- und klimapolitische Vision wirkt trotzdem arg verstrahlt.

Der „fiese Frank“ macht nur seinen Job

„Der fiese Frank versaut uns den Urlaub!“ Die Zeitung mit den großen Buchstaben, Bild also, hat für diese Schlagzeile ihre größten verfügbaren Buchstaben hergenommen. Sie kritisiert damit Frank Werneke, den Vorsitzenden der Gewerkschaft ver.di, für die Warnstreik des Bodenpersonals an den Flughäfen. Aus Sicht dieses Blattes ist das eine pure Bosheit. Diese Betrachtung ist, mit Verlaub, billig, bösartig und blöd.

In Tarifverhandlungen geht es nicht darum, wer mehr oder weniger fies ist. Die Aufgabe ist es, den Interessenskonflikt auszubalancieren, den es im Kapitalismus eben gibt: Die Arbeitgeber wollen mit einem möglichst geringen Aufwand an Ressourcen einen möglichst hohen Gewinn erzielen. Die Gewerkschaften wollen erreichen, dass die Beschäftigten möglichst stark an der Wertschöpfung teilhaben. Und so konstruktiv die Beteiligten auch miteinander reden wollen, so ist es doch ein Spiel von Macht und Gegenmacht.

Für das Bodenpersonal ist die aktuelle Situation günstig. Die Mitarbeiter*innen haben einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, treten also geschlossen auf. Da Personalmangel herrscht, werden jede Frau und jeder Mann gebraucht. Und am Beginn der Urlaubssaison reagiert die Kundschaft besonders empfindlich, das Image des Arbeitgebers leidet. Ein solcher Streik tut weh.

Aber ist es böse, diese Situation auszunutzen? Eben nicht. Das wäre es, wenn man erwarten könnte, dass Arbeitgeber freundlicher verhandeln, wenn man ihnen den ganz großen Stress erspart. Das widerspräche aber der Lebenserfahrung derjenigen, die schon Tarifverhandlungen geführt haben. Wenn die Arbeitgeber Oberwasser haben, lassen sie es ihre Gegenüber spüren. Ich selber habe dies in Tarifverhandlungen für die Zeitungsjournalist*innen einige Male erlebt.

Der ver.di-Chef macht also nur seinen Job. Dass aber ein so genanntes Leitmedium so tut, als wüsste sie das nicht und deshalb verdummende Schlagzeilen und Texte in die Welt setzt, zeigt eines ganz klar: Die wahren Fiesen arbeiten für Bild.